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Jesuiten in Fulda

 JESUITEN IN FULDA:
„HILFSTRUPPE“ UND PROTAGONISTEN IM KAMPF UM DIE KATHOLISCHE REFORM, FÖRDERER DER KIRCHENMUSIK

In Stadt und Stift Fulda hatte ab 1517 die reformatorische Lehre Martin Luthers starken Anklang gefunden. Die Fuldaer Äbte und weite Teile des Klerus, der „Beamtenschaft“ und der Bevölkerung hielten aber am alten Glauben fest, bis mit der Kirchenreformordnung von 1542 – entworfen von dem Vermittlungstheologen Georg Witzel – versucht wurde, einen „Mittelweg“ zwischen den sich ausbildenden Konfessionen zu finden: zugestanden wurden in der Ordnung muttersprachlicher Gottesdienst und Kommunion in beiderlei Gestalt, auch die Möglichkeit zur Heirat wurde Priestern eröffnet.

Auf dem 1545 einberufenen, 1563 beendeten Konzil von Trient bestimmte die katholische Kirche ihren Standort neu, grenzte die katholische Lehre von den reformatorischen Auffassungen ab, bestätigte die Autorität des Papstes, stellte päpstliche Erlasse und Schriften der Kirchenväter als gleichberechtigte Glaubensquellen neben die Bibel und erließ verschiedene Dekrete zur inneren Reform der Kirche – die sich mit der Fuldaer Kirchenordnung nicht immer „vertrugen“.

Die Reformvorstellungen des Konzils, die die Wiedergewinnung der durch die Reformation verlorenen Positionen ermöglichen sollte, wurden in Fulda von dem 1570 im Alter von 22 Jahren zum Fürstabt gewählten Balthasar von Dernbach aufgegriffen. Bereits 1571 berief er Mitglieder des 1534 von Ignatius von Loyola gegründeten Jesuitenordens nach Fulda; mit ihrer Hilfe versuchte er – als erster geistlicher Reichsfürst – die aus eigener Kraft nicht zu leistende "katholische Reform" und das im Augsburger Religionsfrieden 1555 den Reichsständen zugestandene "ius reformandi", demzufolge die Untertanen die Religion ihrer Obrigkeit anzunehmen hatten, durchzusetzen. Dies bedeutete das Ende des seit 1542 in Fulda praktizierten Reformkatholizismus Witzelscher Prägung, dessen Zugeständnisse an die protestantische Kirchenpraxis unerwünscht waren, und die Kampfansage an den versteckten wie in den Städten Fulda und Hammelburg sowie in den ritterschaftlichen Gebieten offen praktizierten Protestantismus.

Die Jesuiten eröffneten 1572 auf dem Gelände des ehemaligen Barfüßerklosters (heute Karstadt) ein Gymnasium und gewannen schnell bestimmenden Einfluss auf das Fuldaer Bildungswesen und auf Balthasars Kirchenpolitik. Diese fand ihren Ausdruck in dem am 26. August 1573 verkündeten Edikt zur Wiederherstellung der katholischen Religion, welches den Gebrauch der deutschen Sprache bei den kirchlichen Handlungen und die Kommunionreichung in beiderlei Gestalt sowie die Verbreitung evangelischer Schriften verbot. Die Rechtgläubigkeit der Pfarrer wurde einer strengen Prüfung unterzogen; von ihren in zahlreichen Fällen bezeugten, oft rechtmäßig angetrauten "Hausfrauen" mussten sie sich trennen.

Dernbach aber versuchte zu viel auf einmal durchzusetzen: seine Reformpolitik verknüpfte er mit einer zielgerichteten Territorialisierungspolitik, indem er gleichzeitig den Einfluss der Ritterschaft in der Verwaltung und in den Amtsbezirken zurückzudrängen sowie die Untertanen des Adels verstärkt zu Frondiensten heranzuziehen suchte. Ebenso verfolgte er die von seinen Vorgängern betriebene Politik einer kirchlichen Verselbständigung gegenüber Würzburg, beanspruchte in seinem Stift die geistliche Gewalt, die Rechtsprechung in Ehesachen und in anderen geistlichen Gerichtsangelegenheiten. In Rom bat Dernbach um quasi-bischöfliche Privilegien, welche er auch, allerdings zeitlich befristet, erhielt. Nicht zuletzt ging er gegen die verweltlichten adligen Stiftskapitulare vor und vertrieb „publikumswirksam“ deren Konkubinen.

Ritterschaft, Kapitulare und Städte schlossen sich daraufhin zu einer förmlichen Koalition gegen ihn zusammen, verbündeten sich mit dem 1573 gewählten Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn und inszenierten am 23. Juni 1576 in Hammelburg die "freiwillige" Abdankung Dernbachs; vier Tage später wurde Echter zum Administrator des Stifts Fulda gewählt. Kaiser Maximilian II. und sein Nachfolger Rudolf II. verfügten jedoch noch im gleichen Jahr die Absetzung Echters und bestellten in der Person des Deutschmeisters einen kaiserlichen Verwalter, der bis zu einer endgültigen rechtlichen Entscheidung die Regierungsgewalt im Stift Fulda ausüben sollte.

Es sollten 26 Jahre vergehen, bis Dernbach durch Spruch des Reichshofrates sein Recht erlangte und sein Fürstenamt wieder übernehmen konnte. Seine landesherrlichen Rechte wurden in der Zwischenzeit von der Regierung gegenüber der Ritterschaft, aber auch gegenüber dem Stiftskapitel gewahrt; ebenso konnten die Jesuiten unter dem Schutz der Administratoren ihre Reformarbeit vorantreiben. 1584 wurde ein Päpstliches Seminar zur (Um-)Erziehung des protestantischen mittel- und norddeutschen Adels und Bürgertums gegründet und den Jesuiten unterstellt. Abt Balthasar förderte von Bieberstein aus, wo er seit 1579 seinen Sitz – mitsamt einem eigenen kleinen „Regierungsapparat“ – hatte, die Arbeit der Jesuiten ebenso nachhaltig wie die Administratoren Heinrich von Bobenhausen (1576–1586) und Erzherzog Maximilian von Tirol (1586–1602).

Dernbach konnte deshalb nach seiner Wiedereinsetzung 1602 das 1571 begonnene Werk fortführen und in nur vier Jahren mit tatkrätiger Unterstützung der Jesuiten (weitgehend) vollenden. Er veranlasste als erster Abt 1603 und 1604 Visitationen der Pfarreien des Stiftsgebietes und legte die Untertanen auf das katholische Bekenntnis fest – wer dieses nicht öffentlich durch den Empfang der Kommunion in Brotgestalt dokumentierte, musste auswandern. Selbst Hammelburg, wo sich die am meisten im Luthertum verwurzelte Gemeinde ausgebildet hatte, wurde 1604 auf diese Weise rekatholisiert. Nur die ritterschaftlichen Gebiete blieben protestantisch.

Bei ihrem Einsatz für die „Gegenreformation“ bildete neben der Erwachsenenkatechese die Unterrichtung der Söhne des Bürgertums den Schwerpunkt der jesuitischen Tätigkeit. Die „neuen Lehrer“ waren so erfolgreich, dass der Schulbetrieb ständig ausgeweitet, ja für auswärtige Schüler schon 1572 ein Konvikt eingerichtet werden musste – und dies alles gegen zum Teil erbitterten Widerstand vieler städtischer Bürger, denen nicht allein die konfessionelle Stoßrichtung der Jesuitenschule missfiel, die sich auch über die Häuser- und Geldzuwendungen sowie die Steuerbefreiungen für die Gesellschaft Jesu „mokierten“; zusätzlicher – und noch gefährlicherer – Widerstand kam aus den Reihen des mehrheitlich der lutherischen Lehre anhängenden Stiftsadels, des auf teilweise skandalöse Art „verweltlichten“ Stiftskapitels und von einigen evangelischen Reichsständen.

Angesichts dieser massiven Ablehnung und der latenten Gefahr der Ausweisung aus Fulda war es für die Jesuiten besonders wichtig, durch guten Unterricht zu überzeugen und ihre Schüler im Kampf für die „reine Lehre“ gegebenenfalls gegen ihre Eltern mobilisieren zu können. Für ihren Schulbetrieb wie für die Erwachsenenarbeit unterhielten die Jesuitenpatres eine eigene Bibliothek, in der auch Notendrucke aufbewahrt wurden, die für musikalische Umrahmungen von Gottesdiensten benötigt wurde. Als während des Dreißigjährigen Krieges 1632 im Zuge der Besetzung Fuldas durch Hessen-Kassel Bücher aus dem Jesuitenkolleg, aus der Klosterbibliothek der Benediktiner und aus der Hofbibliothek der Fürstäbte nach Kassel abtransportiert wurden, gelangten auch Musikwerke dorthin. Mit Hilfe der dort noch erhaltenen sowie den in der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars in Fulda aufbewahrten Notendrucken lässt sich ein Eindruck von der Bedeutung der Musik im Rahmen jesuitischer Liturgie gewinnen. 


Text / Verfasser: Berthold Jäger